Zukunftstrends: Arbeitsleben

 

Eine neue Arbeitswelt

Aufgrund der guten Konjunktur hat die Zahl der Erwerbstätigen von 42,3 Millionen im Jahr 2013 auf 45,9 Millionen im Jahr 2022 zugenommen (rund 76% der gleichaltrigen Menschen). In den kommenden Jahren wird die Zahl der Erwerbstätigen schrumpfen, da zum einen Menschen aus geburtenstarken Jahrgängen in Rente gehen und zum anderen immer weniger junge Menschen berufstätig werden – die Geburtenzahlen sind seit den 1950er Jahren von mehr als 1,1 Millionen auf 795.492 im Jahr 2021 gesunken. So wird bis 2035 die Anzahl der Personen im erwerbsfähigen Alter laut der 14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes um 4,4 bis 6,0 Millionen Menschen schrumpfen. Die Konkurrenz der Arbeitgeber um die weniger werdenden Berufsanfänger wird größer werden, was sich wahrscheinlich auch auf die Anfangslöhne und -gehälter auswirken und zu einer Verringerung des Abstands zum Endeinkommen führen wird.

Die Unternehmensberatung The Boston Consulting Group ermittelte, dass im Jahr 2030 bereits 40% der Berufseinsteiger einen Migrationshintergrund haben werden. Für den Wirtschaftsstandort Deutschland sähe es düster aus, wenn dann wie heute zwei Fünftel der Schüler/innen mit Migrationshintergrund als „Risikoschüler/innen“ eingestuft würden. Diese wären für die meisten Arbeitsplätze nicht qualifiziert.

Aufgrund des Rückgangs der Zahl der Erwerbstätigen wird in den kommenden Jahren der Fachkräftemangel weiter zunehmen. Dem DIHK-Fachkräftereport 2021 zufolge konnten 51% der befragten 23.000 Unternehmen freie Stellen längerfristig nicht besetzen, da passende Arbeitskräfte fehlten. Insgesamt 85% der Betriebe erwarteten negative Effekte aufgrund von Personalmangel. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung werden 7 Millionen Fachkräfte zwischen 2022 und 2035 fehlen. Die Prognos AG empfiehlt deshalb Unternehmen, ältere Mitarbeiter/innen länger zu beschäftigen und gezielt fortzubilden.

Laut Bundesagentur für Arbeit könnte dem Arbeitskräftemangel teilweise dadurch begegnet werden, dass Erwerbsbeteiligung und Arbeitszeitvolumen von Frauen erhöht werden. Ferner könnte die Lebensarbeitszeit verlängert werden. Vor allem aber müsse die Arbeitsmarktteilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund verbessert werden, die insbesondere bei Frauen recht niedrig sei.

Allerdings könnte der Fachkräftemangel aufgrund von Digitalisierung, Automatisierung oder des Einsatzes von Robotern an Bedeutung verlieren. So geht das Zentrum für empirische Wirtschaftsforschung davon aus, dass in den nächsten 10 bis 20 Jahren rund 12% der Arbeitsplätze in Deutschland deswegen verschwinden werden. Und das Bundesarbeitsministerium prognostizierte im Jahr 2021, dass rund 5,3 Millionen Arbeitsplätze bis 2040 aufgrund der Digitalisierung wegfallen werden. Beispielsweise wird es immer mehr Fabriken geben, die weitgehend vollautomatisch funktionieren. Aber auch bei Transportunternehmen, Versicherern, Finanzdienstleistern, Banken, Rechtsanwaltskanzleien, Kliniken und vielen anderen Branchen lassen sich Abläufe und Entscheidungsprozesse automatisieren.

Jedoch werden in den nächsten 10 bis 20 Jahren Computer keine Aufgaben übernehmen können, die höhere menschliche Fähigkeiten voraussetzen – wie kreatives Denken, Symbolverständnis, Hypothesenbildung, Fantasie, kommunikative Kompetenzen, Empathie, Menschenkenntnis, Führungsfähigkeiten, Verantwortungsbewusstsein usw. Zudem schafft die Digitalisierung neue Jobs – und zwar mehr als wegfallen: Laut dem Institut zur Zukunft der Arbeit sind in den Nullerjahren wohl europaweit 1,6 Millionen Arbeitsplätze verschwunden, aber gleichzeitig doppelt so viele neu entstanden. Viele Berufe der Zukunft seien noch gar nicht erfunden worden. Das Bundesarbeitsministerium geht davon aus, dass in Verbindung mit Digitalisierung, Automatisierung und Robotik rund 3,6 Millionen anspruchsvolle Arbeitsplätze bis 2040 neu geschaffen werden.

Andere Prognosen gehen jedoch davon aus, dass die in Industrie, Wirtschaft und anderen Bereichen durch Automatisierung freigesetzten Arbeitnehmer/innen um die verbleibenden Stellen – z.B. im Sozialbereich oder bei Lieferdiensten – konkurrieren werden und so die Löhne drücken könnten. Die Kluft zwischen Arm und Reich würde dann noch größer werden – und die Wut der Menschen auf Konzerne und Regierungen. Offen bleibt, wie die Politik dagegen steuern wird, ob z.B. durch Kürzung der Arbeitszeit, ein bedingungsloses Grundeinkommen, eine Ausweitung der Stellen im Sozial- und Bildungsbereich oder die Förderung sozialer Initiativen und von Gemeinschaftsarbeit.

In der sich anbahnenden Wissensgesellschaft werden die Arbeitgeber/innen vor allem höher qualifizierte Arbeitnehmer/innen benötigen. Im Jahr 2019 arbeiteten laut Statistischem Bundesamt bereits 46,3% der Erwerbstätigen im Alter von 15 bis 64 Jahren in akademischen Berufen, als Fachkräfte in anspruchsvollen Berufen (z.B. im Technik- oder Gesundheitsbereich) oder als Führungskräfte. Hingegen wird die Zahl der einfach qualifizierten Arbeitnehmer/innen der Prognos AG zufolge von derzeit 9 Millionen auf 8 Millionen im Jahr 2030 sinken. So wird es laut dem Accenture-Deutschlandchef Stephan Scholtissek bald zu einem „Kampf“ um qualifizierte Mitarbeiter/innen kommen. Deshalb wird vermutlich die Zuwanderung für Ausländer/innen erleichtert werden. Allerdings sind höher qualifizierte Personen vor allem in Schwellenländern zu finden – beispielsweise erhalten jedes Jahr 7,5 Millionen Inder/innen und Chines/innen einen Universitätsabschluss. Diese finden aber auch in ihrer Heimat immer mehr attraktive Jobangebote vor, wollen also zumeist nicht in Deutschland erwerbstätig werden. Viele der in den letzten Jahrzehnten zugewanderten Migrant/innen und deren Kinder weisen hingegen nicht die nötigen Qualifikationen auf: Im März 2022 hatten laut Bundesagentur für Arbeit 39% aller Leistungsbeziehenden von Arbeitslosengeld einen Migrationshintergrund – allerdings lagen nur von 73% der Befragten eine entsprechende Angabe vor.

Wer in der Wissensgesellschaft den Anschluss verpasst hat, wird nur noch geringe berufliche Chancen haben. Zu diesen Personen gehört das Viertel aller Schulabgänger, das nach einer Erhebung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) nicht über ausreichende Kenntnisse im Rechnen und Schreiben verfügt. Viele von ihnen erhalten keinen Ausbildungsplatz. So haben rund 16% der Menschen im Alter von 25 bis unter 35 Jahren keinen berufsqualifizierenden Abschluss erworben. Aber auch die 7,5 Millionen Deutschen, die nur mit Mühe lesen und schreiben können (sog. „funktionale Analphabeten“), werden immer schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.

Alterung der Arbeitnehmerschaft

Als Folge der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland werden die Belegschaften immer älter werden. Das Durchschnittsalter der Arbeitnehmer/innen wird von 44 Jahren (2017) auf 48 Jahre im Jahr 2050 steigen. Die mittleren Jahrgänge werden dann weniger Aufstiegschancen vorfinden, da höhere Positionen immer länger von älteren Arbeitnehmer/innen blockiert sein dürften.

Da 2030 fast jeder dritte Deutsche über 65 Jahre alt sein wird, empfiehlt die Arbeitsgruppe „Altern in Deutschland“, der 23 Wissenschaftler/innen aus unterschiedlichen Disziplinen angehören, dass Berufsarbeit bis ins fortgeschrittene Alter hinein die Regel sein sollte. In Zukunft müssten auch über 65-Jährige Geld verdienen – und sei es auch nur, um ihren Lebensstandard zu halten. Allerdings sollte die Lohnpolitik so geändert werden, dass Arbeitnehmer/innen nicht mehr automatisch mit jedem Berufsjahr mehr verdienen, denn schon jetzt seien ältere Erwerbstätige vielen Unternehmen zu teuer.

Die Alterung des Erwerbspersonenpotenzials wird die Arbeitgeber/innen zu einer Änderung ihrer bisher stark jugendzentrierten Personalpolitik zwingen und sie viel seltener von der Möglichkeit der in Deutschland – im Gegensatz z.B. zu den USA oder zu Großbritannien – noch weit verbreiteten Frühverrentung Gebrauch machen lassen. Je mehr das Durchschnittsalter der Arbeitnehmer/innen ansteigt und je weniger jüngere Arbeitssuchende auf dem Arbeitsmarkt vorzufinden sind, umso wichtiger werden Fort- und Weiterbildung – schließlich müssen dann Innovation und Produktivitätszuwächse vermehrt von älteren Arbeitnehmer/innen geleistet werden. Da diese häufiger unter Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems, unter Herz-Kreislauf- und psychischen Erkrankungen leiden, wird das betriebliche Gesundheitsmanagement immer wichtiger werden. Einerseits müssen Stress und Arbeitsbelastungen reduziert werden, andererseits sind Maßnahmen zum Erhalt der Arbeitskraft (wie Fitnessangebote und Hilfen für Workaholics) nötig.

Einige Zukunftsforscher wie z.B. Horst W. Opaschowski glauben, dass Arbeitgeber/innen von der doppelten Erfahrung hoch qualifizierter älterer Mitarbeiter/innen – ihrer Lebens- und Berufserfahrung – profitieren werden. Auch sollten sie deren „kristalline Intelligenz“ besser nutzen: den reichhaltigen Fundus von Langzeiterfahrungen, Organisationsgeschick und Faktenwissen. Zudem könnten ältere Arbeitnehmer/innen leichter die Wünsche von Senior/innen erkennen und sie besser beraten.

Wenn ältere Mitarbeiter/innen zusammen mit jungen Kolleg/innen (Produktions-) Teams bilden, könnte dies durchaus zu einem neuen Erfolgsrezept für die deutsche Wirtschaft werden, da jede Seite von den Stärken der anderen profitieren würde. Dasselbe gilt, wenn junge Menschen aus (außer-) europäischen Ländern in solche Arbeitsgruppen integriert würden und ihre besonderen Kompetenzen oder ihr Wissen über den jeweiligen Exportmarkt einbringen könnten.

Je größer aber die Altersunterschiede in Teams werden, umso stärker müssen Unterschiede im Lern- und Arbeitsstil von jüngeren und älteren Mitarbeiter/innen berücksichtigt werden. Beispielsweise haben sich ältere Manager/innen vor allem durch Kurse und das Lesen von Fachtexten weitergebildet und kommunizieren eher verbal, während jüngere Menschen zunehmend das informelle und handlungsorientierte Lernen bevorzugen sowie das Internet und ihr (dortiges) Netzwerk von Kontakten nutzen. Auch kommunizieren sie mehr mit Hilfe visueller Informationen. Manche jüngere Manager/innen ziehen Instant Messages Arbeitstreffen vor oder teilen ihre Erkenntnisse lieber über Blogs, Wikis und Podcasts mit als durch Präsentationen. Der Erfahrungsaustausch und die Weiterbildung am Arbeitsplatz müssen deshalb in Zukunft aus einer Mischung von Veranstaltungen, Trainings, direkter Anleitung, Simulationen, Spielen, Videokonferenzen, Blogs und schriftlichen Informationen bestehen.

Mehr „Weiblichkeit“

In den kommenden Jahren wird die Arbeitswelt zunehmend „feminisiert“ werden: Spätestens im Jahr 2030 werden mehr Frauen als Männer erwerbstätig sein. So schrumpft die Zahl der Hausfrauen immer mehr – aber auch die Zeitdauer von geburtenbedingten Berufsunterbrechungen, da Kleinkinder früher und länger in Tagesbetreuung gegeben werden und (Grund-) Schulen immer häufiger ganztägig sind oder eine Nachmittagsbetreuung anbieten. Zudem müssen mehr Frauen arbeiten, weil sie alleinstehend sind, weil ein Einkommen allein nicht ausreicht, weil sie bei generell sinkenden Rentenansprüchen eine eigene Altersversorgung aufbauen wollen oder weil sie als Geschiedene bzw. Alleinerziehende nicht mehr wie früher Unterhalt für sich selbst erhalten. Und immer mehr Frauen wollen arbeiten, weil sie eine gute Berufsausbildung erworben oder ein Studium abgeschlossen haben, weil sie durch ein eigenes Einkommen unabhängig bleiben möchten oder weil sie Selbstverwirklichung und Anerkennung im Beruf suchen.

Da junge Frauen inzwischen im Durchschnitt bessere Schul-, Berufs- und Hochschulabschlüsse erwerben als Männer, da sie häufig keine Kinder bekommen (derzeit bleibt ein Fünftel aller Frauen kinderlos) und da die Familiengründung seltener als früher ein Karrierehindernis ist (wegen einer nur kurzen Elternzeit und der Ganztagsbetreuung von Kindern), werden sie zunehmend in Führungspositionen hinein rücken. Damit werde die Wirtschaft laut dem Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski bis 2030 vom „patriarchalischen System“ Abschied nehmen. Dann würde ein anderer Führungsstil an Bedeutung gewinnen: Frauen würden pragmatischer denken und effizienter arbeiten, Sitzungen straffer leiten, volatile Investitionen meiden, langfristig planen und besser mit Geld umgehen. Gleichzeitig werden die Karrierechancen für Männer aufgrund der hohen Qualifikation vieler Frauen geringer werden. Hinzu kommt, dass in der Wissensgesellschaft traditionell männliche Eigenschaften wie körperliche Arbeitskraft, Aggressivität und Risikobereitschaft weniger gefragt sind als eher weibliche Eigenschaften wie Kommunikationsfähigkeit, Sozialkompetenz, Informations- und Zeitmanagement.

Der Wandel der Beschäftigungsstruktur

In Fabriken werden in den kommenden Jahren immer mehr Arbeitsgänge von Robotern übernommen werden. So werden weniger Menschen als Arbeiter/innen tätig sein. Der Dienstleistungssektor wird hingegen an Bedeutung gewinnen, wobei aber auch hier einfache Tätigkeiten zunehmend automatisiert werden.

Voraussichtlich werden hoch qualifizierte Personen – auch aufgrund des größer werdenden Fachkräftemangels und der zunehmenden Konkurrenz zwischen den Arbeitgeber/innen – immer besser verdienen. Laut einer ifo-Studie aus dem Jahr 2017 lag das Lebenseinkommen von Universitätsabsolvent/innen um 387.000 Euro netto über dem Lebenseinkommen eines Menschen mit abgeschlossener Lehre; bei Fachhochschulabsolvent/innen waren es durchschnittlich 267.000 Euro und bei Meister/innen bzw. Techniker/innen 129.000 Euro mehr. Allerdings müssen hoch qualifizierte Personen auch eine hohe Arbeitsleistung erbringen und stehen zunehmend unter einem enormen Leistungsdruck. Sie werden häufiger als Selbständige tätig sein, zum Teil mit erfolgsabhängiger Entlohnung.

Ferner wird es immer mehr „Schein-Selbstständige“ geben, die nur für eine Firma arbeiten und entsprechend der erledigten Aufträge bezahlt werden. Auch die Zahl der Selbstständigen, die sich als „Crowdworker“ um kleine Aufträge auf Online-Plattformen bewerben, wird zunehmen. Laut Statistischem Bundesamt gab es 2021 rund 4,0 Millionen Selbstständige einschließlich mithelfender Familienangehörigen. Schätzungsweise bestand die Hälfte von ihnen aus Solo-Selbstständigen (ohne Beschäftigte), deren Einkommen oft relativ niedrig ist.

Niedriger qualifizierte Stellen werden seltener werden, insbesondere wenn die damit verbundenen Aufgaben von Robotern oder Computern übernommen werden können. So wird die Konkurrenz um solche Arbeitsplätze immer größer werden – was schon in den letzten Jahren zu einer geringeren Entlohnung geführt hat. Im Jahr 2021 arbeiteten laut Statistischen Bundesamt rund 7,8 Millionen Erwerbstätige im Niedriglohnsektor (17% aller Erwerbstätigen), verdienten also nur bis zu 12,27 Euro pro Stunde.

Die Gruppe der Festangestellten – mit Kündigungsschutz, Tarifgehalt und Extraleistungen wie Betriebsrente – wird kleiner werden. Immer mehr Arbeitnehmer/innen werden Teilzeitjobs oder befristete Stellen annehmen müssen, zeitweise freiberuflich tätig sein bzw. zwischen verschiedenen Beschäftigungsformen wechseln, mal mehr, mal weniger verdienen. Unsichere, kurzzeitige oder geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, eine Abfolge mehrmonatiger Praktika, Werk- und Zeitarbeitsverträge, Leiharbeit und Zweitjobs werden häufiger werden und zu einer unsicheren Einkommenssituation führen. Dies wird keinesfalls nur für gering qualifizierte Arbeitnehmer /innen gelten, sondern auch für viele Akademiker/innen mit einem „falschen“ Hochschulabschluss. Nachstehende Tabelle zeigt, dass diese Entwicklungen schon seit Jahren den Arbeitsmarkt prägen – wenn auch mit abnehmender Tendenz dank der guten Konjunktur in den letzten Jahren. Derzeit ist ein Fünftel aller Erwerbstätigen atypisch beschäftigt.

Atypische Beschäftigung bei Kernerwerbstätigen im Alter von 15 bis 64 Jahren*
Jahr
atypisch Beschäftigte
befristet
Beschäftigte
Teilzeitbe-
schäftigte
unter 20
Wochenstd.
geringfügig
Beschäftigte
Zeitarbeit-
nehmer
1991
1.968.000
2.555.000
654.000
-
2001
2.212.000
4.127.000
1.816.000
-
2006
2.725.000
4.861.000
2.661.000
563.000
2012
2.640.000
4.937.000
2.489.000
717.000
2018
2.460.000
4.644.000
2.047.000
925.000
2021
2.346.000
4.259.000
1.666.000
932.000
*nicht in Bildung oder Ausbildung oder einem Wehr-/Zivil- sowie Freiwilligendienst; Gruppen nicht überschneidungsfrei
Quelle: Statistisches Bundesamt, Ergebnisse des Mikrozensus

In den letzten Jahren waren vor allem jüngere Menschen von atypischen Beschäftigungsverhältnissen betroffen – Frauen etwas häufiger als Männer. Oft wurden sie eingegangen, als Auszubildende nicht von ihrem Ausbildungsbetrieb übernommen wurden. Die unsichere berufliche Situation und das geringe Einkommen erschweren die Lebens- und Familienplanung und sind oft mit einem gewissen Zukunftspessimismus verbunden. Bei zunehmendem Wirtschaftswachstum und abnehmender Zahl junger Menschen dürften aber atypische Beschäftigungsverhältnisse in den kommenden Jahren seltener werden.

Menschen, die wenig verdient haben und häufiger arbeitslos waren, werden im Alter nur geringe Rentenansprüche haben. Viele (Schein-) Selbständige – insbesondere solche mit einem Einkommen unter 1.000 Euro und solche im Alter von 20 bis 29 Jahren – betreiben überhaupt keine Altersvorsorge. Nach einer Umfrage des Bundesverbandes der Selbständigen legt jeder Zehnte keinen einzigen Cent zurück, ein weiteres Fünftel weniger als 1.000 Euro im Jahr. Als Folge drohen im Alter Armut bzw. Abhängigkeit von der Sozialhilfe.

Trotz Bevölkerungsrückgang und Fachkräftemangel wird es auch in absehbarer Zeit eine hohe Arbeitslosenquote geben. Un- und angelernte Arbeitnehmer/innen sowie solche ohne verwertbare Qualifikationen werden es noch schwerer als heute haben, eine Beschäftigung zu finden. Da der Staat aufgrund der hohen Ausgaben für Senior/innen und Kranke voraussichtlich nur noch sehr begrenzte Leistungen für Langzeitarbeitslose erbringen kann, wird deren Lebensstandard niedrig sein. Der existenzielle Druck wird noch größer als heute, das Vertrauen in die Politik noch kleiner sein. Manche wenig qualifizierte Menschen werden aber in Selbsthilfenetzwerken ein Auskommen oder in der Schattenwirtschaft einen Zusatzverdienst finden – allerdings auf niedrigem Niveau.

Das Arbeitsleben

Die „klassische“ Biographie mit den Phasen Ausbildung, Vollzeitbeschäftigung (am selben Ort) und Ruhestand wird man in Zukunft immer weniger finden. Viele Arbeitnehmer/innen werden ein- oder mehrmals ihren Beruf wechseln; zwischen den Arbeitsstellen werden also häufig Ausbildungszeiten bis hin zu einem (neuen) Studium liegen. Die Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber wird abnehmen, weil Beschäftigungsverhältnisse zunehmend als zeitlich begrenzt wahrgenommen werden. Arbeitnehmer/innen werden auch häufig den Wohnort wechseln – entweder weil sie eine andere Stelle antreten oder weil sie vom Arbeitgeber versetzt wurden. Diese Mobilität wird zu mehr Vereinzelung und zu mehr Wochenend-Ehen führen. Bei multinationalen Unternehmen wird der neue Arbeitsplatz oft im Ausland liegen, sodass Ehepartner und Kinder entweder im Heimatland bleiben oder ebenfalls umziehen müssen – mit all den damit verbundenen Problemen (z.B. Aufgabe der eigenen Stelle, Suche nach einem neuen Arbeitsplatz, Erlernen einer Fremdsprache, Schulwechsel).

„Klassische“ Stellen mit einer Arbeitszeit zwischen 8 und 17 Uhr werden immer seltener werden. So werden mehr Beschäftigte im Schichtdienst, an Abenden, in der Nacht und an Wochenenden tätig sein müssen. Während laut Statistischem Bundesamt im Jahr 1992 erst 22% der Erwerbstätigen samstags, 11% sonntags und 15% abends arbeiteten, waren es 2019 schon 24%, 13% und 18%; nur bei Nachtarbeit verringerte sich der Prozentsatz von 7% auf 5%. Ein großer Teil der Arbeitnehmer/innen wird aber auch flexible Arbeitszeiten haben. Insbesondere „Wissens-“ und „Kreativarbeiter/innen“ werden immer häufiger ihren Berufsalltag frei gestalten können und sogar nachts oder zu Hause arbeiten dürfen, wenn davon eine Produktivitätssteigerung erwartet wird.

Viele Selbständige werden über die volle Orts- und Zeitsouveränität verfügen, da sie dank Smartphone und Internet überall und jederzeit erreichbar sind. Aufgrund der beruflichen Anforderungen werden Manager/innen und andere höher qualifizierte Arbeitnehmer/innen häufiger Arbeit nach Hause mitbringen und am Abend oder am Wochenende erledigen. So wird der berufsbedingte Stress weiter zunehmen. Laut einer Umfrage der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz vom April/Mai 2022 litten in den letzten 12 Monaten 45% der Beschäftigten an ihrem Arbeitsplatz unter Überlastung und Zeitdruck, 25% unter Kopf- oder Augenschmerzen, 22% unter Erschöpfung und 18% unter Stress, Depressionen oder Ängsten.

Jedoch könnte es in Zukunft auch mehr Erwerbstätige geben, denen ihre Freizeit oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf so wichtig sind, dass sie auf den beruflichen Aufstieg verzichten. Deshalb berichten schon jetzt einige Unternehmen von Schwierigkeiten, wenn sie Führungspositionen mit Personen aus dem eigenen Hause besetzen wollen. Je knapper das Fachkräfteangebot wird, umso schwieriger wird es auch, Mitarbeiter/innen zu halten, die mit ihrer hohen Arbeitsbelastung unzufrieden sind, sich zu stark gestresst fühlen, Probleme mit ihren Vorgesetzten haben oder ihres Erachtens zu wenig Wertschätzung erfahren.

In den nächsten 40 Jahren werden die meisten Menschen in Büros und Geschäften tätig sein. Aber auch die Telearbeit dürfte eine wachsende Rolle spielen: Anfang 2020 stieg der Anteil der Arbeitnehmer/innen, die (teilweise) im Home-Office arbeiteten, von circa 12% auf rund 26%, da viele Arbeitgeber ihre Mitarbeiter/innen nach Hause schickten, um die Infektionsgefahr durch den Corona-Virus zu reduzieren. Laut einer DAK-Umfrage vom Juli 2020 würden 77% der Befragten gerne weiterhin (teilweise) zu Hause arbeiten. So könnte das Home-Office auch in den nächsten Jahren eine größere Rolle als vor dem Jahr 2020 spielen, zumal die Arbeitgeber/innen Bürokosten einsparen können und manche Arbeitnehmer/innen zu Hause produktiver sind.

Die ständige Produktivitätssteigerung bewirkt, dass immer weniger Mitarbeiter/innen immer mehr leisten müssen. Da Innovationszyklen einander immer schneller folgen, wird die Beschleunigung der Arbeit weiter zunehmen. Kenntnisse und Fertigkeiten werden immer rascher veralten: Ohne lebenslanges Lernen geht nichts mehr. Die Arbeitnehmer/innen müssen sich stärker spezialisieren, da sie nur noch in ganz kleinen Bereichen auf dem Laufenden sein können. Sie werden sich immer intensiver mit Informationen befassen, um auf diese Weise einen Wissensvorsprung vor der Konkurrenz zu erlangen. Aufgrund der zunehmenden Informationsüberflutung werden sie auch mehr Zeit für das Wissensmanagement benötigen.

Bedingt durch die hohe Spezialisierung werden sich die meisten Tätigkeiten nur noch in Kooperation mit anderen erledigen lassen. So müssen Unternehmer/innen und Manager/innen effektive Teams aufbauen, ihnen viel Verantwortung übertragen und ihren Mitgliedern Respekt und Wertschätzung erweisen, um deren Leistungsmotivation zu erhalten. Schon jetzt erfolgt die Mitarbeiterführung weitgehend durch die Vorgabe von Zielen; in Zukunft muss auch vermehrt darauf geachtet werden, dass die jeweilige Tätigkeit als sinnvoll erlebt wird, da qualitativ hochwertige Arbeitsleistungen nur intrinsisch motiviert erbracht werden. Der Arbeitsplatz wird zum Ort des Gesprächsaustausches und der gegenseitigen Anregung werden – viele hervorragende Ideen entstehen schon jetzt in Besprechungen.

Die Menschen werden vermehrt in zeitlich begrenzten Projekten arbeiten, wobei sich mit jedem Projekt auch die Zusammensetzung des Teams ändern kann. Deren Mitglieder werden immer seltener denselben Arbeitgeber haben – im jeweiligen Projekt werden Mitarbeiter/innen von mehreren Unternehmen bzw. Zulieferern mit Kunden und Wissenschaftler/innen aus Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten. Nur so können noch auf effiziente Weise neue Waren und Dienstleistungen entwickelt werden – die Produktlebenszyklen werden sich weiter verkürzen, die Entwicklung neuer Produkte wird mehr Spezialkenntnisse aus verschiedenen Technologie- bzw. Wissensfeldern verlangen, deren Vermarktung wird immer sorgfältiger geplant werden müssen. Zudem werden in der Projektwirtschaft die Kosten und Risiken von mehreren Unternehmen bzw. Institutionen geteilt.

Die Projektarbeit wird den Arbeitnehmer/innen zum einen mehr Flexibilität und geistige Wendigkeit abverlangen: Sie werden immer wieder an anderen Orten und mit anderen Menschen zusammenarbeiten müssen. Allerdings wird auch häufiger von Videokonferenzen Gebrauch gemacht werden – schon jetzt werden spezielle Büros mit mehreren Bildschirmen und Kameras ausgestattet, können Powerpoint-Präsentationen oder Statistiken gleichzeitig an verschiedenen Orten betrachtet und diskutiert werden. Unternehmen werden damit zu Netzwerken, deren räumlich verstreute Mitglieder sich unabhängig von Ort und Zeit austauschen. Zum anderen wird von den Arbeitnehmer/innen immer mehr Kreativität verlangt werden – aus „Made in Germany“ muss „Created in Germany“ werden, da die Produktion der Güter häufig in anderen Ländern erfolgen wird. Hier kann sich positiv auswirken, wenn möglichst unterschiedliche Menschen zusammenarbeiten – Unterschiede mit dem größten Kreativitätspotenzial sind solche zwischen Jung und Alt sowie zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturräumen.

Bei einer so komplexen und schnelllebigen Wirtschaft werden Unternehmer/innen und Manager/innen nicht mehr über das Wissen und die Kompetenzen verfügen, um auch nur einen Nischenmarkt zu überblicken. So müssen sie mit anderen Fachleuten – z.B. in Zulieferbetrieben und Forschungseinrichtungen – intensiv kooperieren, was durch Internet, Smartphones, Videokonferenzen usw. erleichtert wird. In Zukunft werden sie auch mehr mit freiberuflich tätigen Fachleuten zusammenarbeiten, die nur an einem bestimmten Projekt mitwirken oder mehrere Unternehmen beraten. Manager/innen müssen zu perfekten „Netzwerker/innen“ werden, die im Internet, auf Tagungen, durch persönliche Kontakte und auf sozialen Websites (wie LinkedIn oder Xing) erfolgreich nach neuen Mitarbeiter/innen mit den gerade benötigten Qualifikationen und nach Kooperationspartnern suchen.

Aufgrund des schnellen Wandels und den damit verbundenen (Planungs-) Unsicherheiten werden Unternehmer/innen und Manager/innen mehr vorwärts gerichtet denken und langfristig investieren müssen. Dazu sind klare Ziele, eine gute Planung, Zusammenarbeit mit anderen bei der Umsetzung von Zielen sowie die Kommunikation erzielter Erfolge notwendig. Neben Fachwissen und der analytischen, problemorientierten Reflexion werden synthetisches und integratives Denken, interpersonale und koordinierende Kompetenzen sowie Kreativität immer wichtiger.

Ferner wird es mehr Kontakte zwischen Produzent/innen und ihren Kund/innen geben, die weniger in Geschäften bzw. im Großhandel einkaufen, sondern mehr direkt beim Hersteller via Internet. Die Kund/innen wollen auf diese Weise Geld sparen (andere Unternehmen auch durch das direkte Verhandeln von Preisen) und alle vom Produzenten angebotenen Optionen kennen lernen. Zudem werden die Ansprüche der Kund/innen in Bezug auf Preis, Flexibilität, Innovation und spezifischer Dienstleistungen weiter steigen.

In der Studie „Zukunft der Arbeitswelt 2030“ fordern Professoren der TU Darmstadt und der Universität Mainz, dass sich Arbeitgeber/innen stärker mit den veränderten Lebensweisen der Arbeitnehmer/innen befassen müssten. Beispielsweise hätten viele Führungskräfte und Beschäftigte Probleme mit der zunehmenden Vermischung von Berufsarbeit und Privatleben. So bedingen die ständige Erreichbarkeit durch Smartphone und Internet sowie die Möglichkeit, von zu Hause aus Dateien auf dem Server der Arbeitsstelle bearbeiten zu können, dass die Arbeitszeit immer mehr die Freizeit durchdringt – auch an den Wochenenden. Ferner würden die Fälle von Arbeitssucht und psychischen Erkrankungen steigen. Auch müsse berücksichtigt werden, dass es neben den erfolgreichen „Selbstmanager/innen“ – die aufgrund immer komplexerer Aufgaben mehr Entscheidungs- und Handlungsspielräume gewinnen, an ihren Aufgaben wachsen und psychosozial gesund bleiben – bei weitem mehr Arbeitnehmer/innen gibt, die Schwierigkeiten mit ihrem Emotionsmanagement und dem Gefühl haben, von der Arbeit zerrieben zu werde.

Allerdings waren laut einer Umfrage von Avantgarde Experts und YouGov aus dem Jahr 2022 rund 68% der Beschäftigten mit ihrer Arbeit eher bis vollkommen zufrieden (nur 12% waren unzufrieden). So scheint der Wandel der Arbeitswelt nicht zu einer geringen Arbeitszufriedenheit geführt zu haben.